Leider war es nichts mit dem Schlaf, denn ich wurde nach kurzer Zeit geweckt, weil jemand seinen Platz einforderte. Also nahm ich meine Sachen und zog umher. Nur wohin sollte ich gehen? Ich hatte keine Ahnung. Ich ging weiter, bis ich ans Ende der Schlafklasse kam. Dort setzte ich mich an die Tür und wurde von vielen komisch angeguckt. Einen Zugangestellten, wie in China, wo sie für jeden Wagon eine Person haben, hatte ich in Indien noch nicht gesehen. An der Tür war es kalt und es zog, sodass ich mir meine Jacke anzog und versuchte, etwas zu schlafen. Viel Schlaf bekam ich an der Stelle nicht ab, vor allem, weil ich an manchen Haltestellen wieder aufstehen musste, um die Tür aufzumachen und damit auch für die eintretenden Reisenden Platz zu machen. Morgens war die Tür standardmäßig offen, weil die Inder an der Tür standen oder saßen und nach draußen guckten, während der Wind ihnen frisch entgegen blies. Die erste Hälfte der 15-stündigen Fahrt war rum und einmal kam ein Zugschaffner vorbei. Dieser fragte mich nach meinem Ticket, ich sagte ich hätte ein E-Ticket und suchte danach und als ich es hatte, war dieser auch schon wieder weg. Schade, vielleicht hätte er mir ja helfen können.
Zwischenzeitlich bekam ich einmal die Möglichkeit, mich auf einen kurzzeitig freigewordenen Schlafplatz zu legen, von der ich nach einer Weile auch wieder vertrieben wurde, weil der Platzbesitzer sich dort wieder hinlegen wollte. Den Rest der Fahrt verbrachte ich auf dem Gang, auf dem ich mich nicht sonderlich wohl fühlte, aber viel blieb mir nicht übrig. In Jabalpur angekommen, hatte ich in Erinnerung, dass mich ein paar Freunde oder Bekannte von Vivek abholen wollten. Ich wartete ein wenig und als niemand kam, ging ich zur Plattform 1, wo ich einen Bahnhofsangestellten ansprach, der mich an das Touristenbüro draußen verwies. Auf dem Weg dahin wurde ich von vielen Rikscha-Fahrern angesprochen, die wissen wollten, wo ich denn hinfahren möchte. Im Touristenbüro informierte ich mich, wo ich hin müsste und was der ungefähre Preis für die Fahrt zum gewünschten Hotel Galaxy wäre und so fuhr ich nach etwas Feilschen für 50 Rs mit einer Auto-Rikscha zum Hotel.
Dort angekommen, wurde ich in den 3. Stock geführt, wo ein Teil von Viveks Familie zu Mittag aß. Ich wurde herzlichst empfangen und mir wurde sofort das Mittagessen angeboten. Ich empfand etwas zu Essen als wichtiger als ein Hotelzimmer. Nach einem leckeren Mittagessen und vielen Unterhaltungen mit der Familie, kam Vivek zu mir, obwohl man mir gesagt hatte, dass er sein Haus nicht verlassen dürfte. Er erzählte mir, dass er ein paar Verwandte zum Bahnhof geschickt hatte, um mich abzuholen und ich wäre wohl nicht in meinem Abteil gewesen, wo ich hätte sein müssen. Ich fragte Vivek, wie er das meinte, ich selber wusste ja nicht, wo ich hin musste, weil ich doch nur ein Wartelistenticket hatte. Er meinte, dass mein Ticket bestätigt worden war und ich damit einen Platz in Wagon S5 mit Sitz 56 oder so ähnlich gehabt hätte. Ich war überrascht, wie er das rausbekommen hatte und nachdem ich wusste, wie er das erfahren hatte, schob ich mir die Schuld zu, dass ich nicht wusste, wo ich hin musste. Außerdem hingen am Bahnhof Listen aus, auf denen drauf steht, wo wer seinen Platz im Zug hat, falls das Ticket bestätigt wurde. Diese hatte ich natürlich gesehen, aber den Sinn hinter diesen Listen, wo einige Leute wie wild drauf guckten, hatte ich nicht erkannt. Daher bin ich auch nicht auf die Idee gekommen, mal dort nach meiner Reservierungsnummer zu gucken.
Ich unterhielt mich noch eine ganze Weile mit Vivek und übergab ihm schon einmal die aus Deutschland mitgebrachte Schokolade. Danach gingen wir gut gesättigt zum Hotel gegenüber, wo mir ein Hotelzimmer gegeben wurde, in dem ich mich vorerst etwas ausruhen konnte, wenn ich wollte. Der Hauptteil der Hochzeitszeremonie beginne wohl erst um 19 Uhr. Ich hatte ca. 2 Stunden Zeit mich fertig zu machen und noch etwas auszuruhen. Ich nutzte die Zeit, um mich zu duschen und das Bilderbuch zu vervollständigen. Dazu nutzte ich die Buntstifte, die ich aus einem Kinderset aus dem Flugzeug mitgenommen hatte, weil die Kinder diese nicht wollten. Am Ende nutzte ich die noch verbleibende halbe Stunde, um mich etwas auszuruhen. Gegen 19 Uhr stand ich in meinem maßgeschneiderten grauen Anzug aus China und gestylten Haaren am gegenüberliegenden Hotel Galaxy. Leider hatte ich es nicht mehr geschafft, meine Haare schneiden zu lassen.
Dort wartete ich ca. 10-20 Minuten bis die ersten Leute eintrafen. Ich bekam etwas zu trinken, machte einige Fotos mit Vivek und bekam einen Turban gebunden. Das war richtig spannend und ich sah unheimlich schick aus. Damit hatte sich das Problem mit meinen zu langen Haaren auch direkt erledigt. Als das weiße Pferd draußen angekommen war und alle anderen Familienangehörigen soweit eingetroffen waren, konnte es losgehen. Wir zogen vom Hotelzimmer des Bräutigam zum Ort der Braut. In der Tradition der Inder ist es so, dass der Bräutigam von seinem Haus zum Haus der Braut auf einem Pferd reitet. Die Hochzeitszeremonie geht über mehrere Tage, in denen die Vorbereitung der Hochzeit stattfindet. Sowohl die Eltern des Bräutigams als auch der Braut beten für ihre Kinder und führen Zeremonien zu Hause durch. In diesen Tagen dürfen weder die Braut noch der Bräutigam ihr Zuhause verlassen. Der letzte Tag, hier der dritte Tag, ist der wichtigste Tag an dem die eigentliche Vermählung stattfindet, zu der ich eingeladen wurde. Vivek nahm auf dem weißen Pferd Platz und bildete den Schluss des Hochzeitszuges. Vor Vivek liefen alle Familienangehörigen her und vor diesen wiederum lief eine kleine Kapelle. Diese spielte Musik, zu der getanzt wurde, welche über die großen Lautsprecher am Wagen, der vor dem Zug fuhr, wiedergegeben wurde. Den Zug umgab eine Lichterkette, die von Frauen auf den Köpfen getragen wurde. Diese Lichterkette wurde mit Strom vom Wagen gespeist und ging einmal um die Hochzeitsgesellschaft hinter dem weißen Pferd herum und wieder bis vorne zum Beginn der Kapelle. Für ca. 500 Meter Fußweg brauchten wir ganze 2,5 Stunden, weil wir immer wieder stehen blieben und viel Tanzten. Ich kam nicht ums Tanzen herum, sodass ich mittanzte und sichtlich Spaß daran hatte. Zwischendurch wurden kleine Geldschein von 10 Rs um die Köpfe von tanzenden Personen gekreist und an eine Person in der Kapelle weitergegeben. Damit, wie ich später erfuhr, wird symbolisch gezeigt, dass man kein Geld an dem Tag der Hochzeit scheut, um es allen gut gehen zu lassen. Zudem liegen viel Blicke auf der tanzenden Person und mit dem Geld sollen alle bösen Blicke und Wünsche, also generell das böse Karma, von dieser Person genommen werden und mit dem Geld an eine Person geben werden, die dieses böse Karma auf sich nimmt. Zwischendurch kamen auch schaulustige hinzu und stahlen sich wohl ein wenig Geld. Diese wurden daraufhin außerhalb zur Rechenschaft gezogen, quasi verprügelt, wenn ich dieses auf Einschlagen auf eine Person richtig gedeutet hatte. Ich war wieder erstaunt und geschockt, weil es doch anders ist, als ich es so als friedliebender Mensch kenne.
Außerdem müsst ihr euch noch vorstellen, dass ca. 100 Meter vor Viveks Hochzeitumzug auch noch ein Bräutigam zum Festzelt seiner Braut ritt und dass das Ganze auf einer engen befahrenen Straße stattfand, sodass der Verkehr sehr stark behindert wurde. Aber dies schien niemanden so richtig zu stören. In der heutigen Zeit ist es nicht mehr möglich, eine große Feier in dem Haus der Braut zu feiern, daher wird in der Regel ein Festplatz gemietet, der alle Gäste beherbergen kann. An oder auf diesem Festplatz gibt es einen Raum, der der Braut gehört und das imaginäre Haus der Braut darstellt. Das Hotel, von dem wir losgezogen sind, stellte das imaginäre Haus des Bräutigams dar, damit die Entfernung zum „Brauthaus“ nicht zu groß wird. Für den Hochzeitsweg, der immer mit viel Tanzen zurückgelegt wurde, wusste ich nicht, dass man diesen generell langsam mit viel Tanz und Spaß zurücklegt, schließlich war das alles sehr neu für mich. Am Festplatz angekommen, wurden wir von einem Bruder der Braut im Namen ihrer Familie empfangen und wir erhielten ein kleines Geschenk in Form von einem kleinen Handtuch, einem kleinen Briefumschlag mit 100 Rs darin und einem Begrüßungspunkt auf der Stirn.
Innen ging ich an einem Zelt für die spätere Feuerzeremonie vorbei auf einen riesigen Platz zu. Der Platz war geschätzte 100x100 Meter groß. An der rechten Seite befand sich eine Bühne mit einer Kulisse, auf der 2 große Stühle und ein paar kleine Stühle standen. Vor der Kulisse standen viele Stühle für die Gäste, um der Trauung gemütlich zuschauen zu können. Am linken und hinteren Rand, genauso wie auf einem kleinen Stück am hinteren rechten Rand und in der Mitte hinter den ganzen Stuhlreihen, war ein riesiges Buffet aufgebaut. Es war unglaublich, was es dort alles zu essen gab und alles war vegetarisch. Ich genehmigte mir nur eine Kleinigkeit, weil ich später mit der Familie und vor allem mit dem Brautpaar zusammen essen wollte.
Zuerst stand aber die Vermählung an, der ich direkt auf der Bühne beiwohnte, weil man mich dort hinbestellte. Hierbei sang ein kleiner Chor und im Anschluss fing Vivek seine Braut mit einer Blumenkette ein, worauf die Braut im Anschluss das gleiche mit Vivek tat. Danach wurden viele, sehr viele Fotos gemacht. Vivek und seine Braut standen mindestens eine Stunde und länger da, um Fotos mit allen Freunden und Verwandten machen zu lassen und sich Geschenke überreichen zu lassen. So hatte ich auch endlich die Möglichkeit mein Bilderbuch-Geschenk zu übergeben, denn während dem Tanzen auf dem Weg zur Festwiese war es zeitweise lästig. Währenddessen aßen und tranken alle Leute, die nicht mit auf der Bühne standen, weiter und die Auswahl war immer noch überwältigend. Hier möchte ich auch noch erwähnen, dass Vivek und seine Braut sehr prächtig gekleidet waren. Sie trug eine wunderschöne Sari (Gewand der Inderinnen), einen sehr großen Nasenring mit einer schönen Kette daran, die zu ihrer Sari ging und sie war sehr schön an den Armen bemalt/verziert. Vivek war wie ein Maharadscha gekleidet und auch er wies Körperverzierungen auf, die wohl erst nach einer langen Zeit und vielem Waschen verschwinden.
Gegen 23.30 Uhr, kurz nachdem ich mir eine Kleinigkeit genehmigt hatte, nahm das Brautpaar mit vielen weiteren wichtigen Personen aus der Familie am Essenstisch Platz, wo das traditionelle gemeinsame Essen stattfand. Ich nahm auf Wunsch von Vivek direkt neben diesem Platz und war somit eine wichtige Person auf der Hochzeitsfeier, wie ich durch den Umgang mit mir bemerkte. Ich aß als längster, schließlich wollte ich von allem etwas probieren und ich musste Bescheid sagen, wenn mir etwas sehr gut schmeckte, damit ich davon noch mehr bekam. Ich sollte bloß nicht bescheiden sein. Ich genoss das Essen und merkte zudem, dass es mittlerweile sehr kalt geworden war. Gegen Mitternacht verließ Vivek das Hochzeitsgelände, um sich für die abschließende Feuerzeremonie umzuziehen und er wollte in ca. einer halben Stunde wieder da sein. Ich war so voll gegessen, dass ich mich zuerst ins Feuerzelt begab. Doch von dort entschloss ich einen Spaziergang zum Hotelzimmer zu machen, um dem Magen ein wenig Entspannung zu gönnen.
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